Wir waren als Gäste des Vereins „Hilfe und Hoffnung“ in Wien. Der Verein ist in Finnland als „Eeva Huberin Työn Tuki Ry“ bekannt. Wir waren insgesamt 10 Personen.
11.05.2022 Am Anreisetag holte uns Hannu Ylitalo vom Flughafen ab und wir fuhren gemeinsam in eine Pension im 1. Bezirk. In der Kantine der Pension hieß uns Hannu alle herzlich willkommen. Nach einem kurzen gemeinsamen Gebet wurden viele praktische Dinge besprochen wie z. B. Corona-Pässe und -Tests. Danach gingen wir über den nahe gelegenen Schwedenplatz zum Morzinplatz, wo sich das Gestapo-Mahnmal befindet.
12.5.2022 Es erfolgte eine Fahrt mit der Straßenbahn zum Schloss Schönbrunn, wo wir durch die alte kaiserliche Sommerresidenz geführt wurden. Nach einer kurzen Erfrischung in der Pension bereiteten wir uns für den Opernbesuch vor. In der Kantine der Pension im 8. Stock gab ich der Gruppe einen kurzen Einblick in das Opernstück „Figaros Hochzeit“ und danach fuhren wir mit der Straßenbahn zur Wiener Staatsoper, um eine Vorführung dieser Oper hautnah zu erleben.
13.5.2022 Elisabeth Baumegger, die Schriftführerin von Hilfe und Hoffnung, kam am Morgen zur Pension und wir begaben uns mit ihr auf einen „Spaziergang durch das jüdische Wien“. Elisabeth erzählte uns von diskriminierender Politik über die Jahrhunderte hinweg. Es waren nicht nur die wiederholten großen Vertreibungen, sondern auch die Absonderung der Wiener Juden in den zweiten Wiener Gemeindebezirk – auf die andere Seite des Donaukanals. Die großen Judenvertreibungen wurden auch mit der Absicht durchgeführt, auf diese Weise die angehäuften Schulden bei den jüdischen Geldverleihern nicht mehr begleichen zu müssen.
Elisabeth führte uns zum Gebäude am Morzinplatz, das 1967 anstelle des zerstörten Hotels Metropol, in dem sich während der Nazi-Zeit die örtliche deutsche Gestapo-Zentrale befunden hatte, errichtet wurde. Ein Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands / DÖW gewährte uns Zutritt zum dort untergebrachten Gedenkraum, der in Wort und Bild an die NS-Geschichte dieses Ortes gemahnt.
Danach gingen wir entlang des Bahnsteigs der U2 am Schottenring auf die andere Seite des Donaukanals in den 2. Wiener Gemeindebezirk. Beim Durchgang zum Aufzug des U2-Ausgangs Herminengasse erklärte uns Elisabeth das dort angebrachte Installationskunstwerk, das die Deportation von in den Häusern der Herminengasse in Sammelwohnungen untergebrachten jüdischen Bürgern in die vielen Konzentrationslager der Nazis nachzeichnet (Michaela Melian:
Herminengasse https://www.wien.gv.at/presse/2017/10/19/wiener-linien-koer-in-u2)
Jede der vielen schwarzen Linien steht für eine jüdische Person, die aus einem der Häuser der Herminengasse in die NS-Konzentrationslager deportiert wurde.
Nachdem wir mit dem Lift hochgefahren waren, betraten wir die Herminengasse und entdeckten viele Steine der Erinnerung, die in den Bürgersteig vor den Wohnhäusern eingelassen worden waren. Auf diesen Messingplatten stehen die Namen und Lebensdaten jener jüdischen Menschen, die bis zu ihrer Deportation durch Nazideutschland im jeweiligen Wohnhaus in Sammelwohnungen untergebracht waren, nachdem sie von ihren angestammten Wohnsitzen überall in Österreich in das „Judenviertel“, in den zweiten Wiener Gemeindebezirk, zwangsweise übersiedelt worden waren. Neben dem Eingang zum Haus Herminengasse 6 befinden sich die Steine der Erinnerung an die Familie Zaidman, die Celia Wortman aus Kalifornien für ihre Verwandten mütterlicherseits initiierte und finanzierte und bei deren Umsetzung Hilfe und Hoffnung behilflich sein durfte (siehe https://www.hilfeundhoffnung.at/?cat=5).
Anschließend fuhren wir mit Straßenbahn und Bus zu einem Ort namens „Judenplatz“. Wir aßen dort in einem griechischen Restaurant, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Denkmals für die Opfer des Holocaust befindet. Dieses Denkmal erinnert in Größe und Form an die Gaskammer von Auschwitz, die ich bereits einmal besuchte. Ich war sehr beeindruckt.
Vom Judenplatz gingen wir weiter zur Renngasse 1, wo sich noch das Gebäude des ehemaligen Hotels „Zum Römischen Kaiser“ befindet, das dem Begründer des Wiener Zweiges der Rothschild-Dynastie Salomon Mayer Freiherr von Rothschild anfangs als Unternehmenssitz diente, da es ihm als Juden nicht erlaubt war, in Wien Liegenschaften zu erwerben. Erst als ihm 1843 als Anerkennung für seine Verdienste um die finanziellen Angelegenheiten Wiens die Ehrenbürgerschaft verliehen wurde, konnte er Liegenschaften erwerben, worauf er schließlich das ganze Hotel „Zum Römischen Kaiser“ erwarb. Im angrenzenden Gebäude in der Renngasse 3 befand sich bis zum Jahr 1938 die S. M. v. Rothschild Privatbank. Heute residiert hier die Schoellerbank, die es uns aus Sicherheitsgründen nicht gestattete, den hier immer noch existenten „Rothschild-Saal“ zu besichtigen.
Louis Nathaniel von Rothschild (1882 – 1955), der letzte Bankier der Wiener Rothschild-Dynastie, stellte hier in der Renngasse 3 kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche NS-Reich die Pensionen für seine Angestellten zusammen (die Zweite Republik Österreich sollte nach dem 2. Weltkrieg die Sicherung dieser Pensionen übernehmen, nachdem Louis N. von Rothschild seine restituierten Besitzungen in eine Stiftung einbrachte und für immer nach Vermont/USA auswanderte, da er zur Überzeugung gekommen war: „Das ist nicht mehr das Österreich, das ich gekannt habe.“) und versäumte dadurch die rechtzeitige Ausreise. Als er schließlich weg fliegen wollte, wurde er am Flugfeld Aspern verhaftet und in der Gestapo-Zentrale am Morzinplatz ein Jahr lang in Einzelhaft gehalten, bis er seine Unterschrift unter ein Dokument setzte, das dem Deutschen Reich alle seine Besitzungen übereignete.
Die Aktenzahl dieses verschollenen Gestapo-Dokuments ist u. a. der letzte Eintrag im Grundbuch für das Grundstück Geweygasse 6 im 19. Wiener Gemeindebezirk, wo sich früher der Botanische Garten der Familie Rothschild befand („Rothschildgärten“). Heute heißt dieser Bereich der Hohen Warte offiziell wieder Rothschildgarten, nachdem er lange Zeit ein Teil des Heiligenstädter Parks war. Im Jahr 2000 hatte Elisabeth die Benennung dieses Gartens nach der für die gesamte Wirtschaft der k. u. k. Monarchie und der Stadt Wien bedeutenden Finanzdynastie (u. a. Gründung der Creditanstalt) angeregt. Aus der Zeitung erfuhr sie viel später zufällig, dass die Stadt Wien dieser Anregung im Jahr 2016 nachgekommen war. Gleichzeitig wurde im 2. Wiener Gemeindebezirk in einem neu entwickelten Stadtteil der Rothschildplatz geschaffen.
Abschließend fuhren wir zum Stephansplatz, in dessen Nähe sich das Jüdische Museum Dorotheergasse befindet. Ein Museumsbesuch ging sich im Rahmen des „Spaziergangs durch das jüdische Wien“ zeitlich allerdings nicht aus.
Am Abend besuchten wir den Schabbat-Gottesdienst in der Synagoge Seitenstättengasse. Diese Synagoge wurde einst vor der Vernichtung durch die deutschen Nazis bewahrt, weil sie sich in keiner Weise vom restlichen Straßenbild abhebt sondern sich wie ein Wohnhaus in den Häuserblock einfügt. Auch war es den Nazis wichtig, die in dieser Hauptsynagoge untergebrachten Matriken samt Adressen aller in Österreich wohnhaften Juden einsehen zu können, um später alle jüdischen Österreicher deportieren zu können.
Der Schabbat-Gottesdienst begann um 19:00 Uhr und verlief gut, einige bekannte Lieder wurden auch gehört. Dann wurde „Schabbat Schalom“ gewünscht. Anschließend waren wir eingeladen, im angrenzenden Gemeinschaftszentrum der Israelitischen Kultusgemeinde an einem eigenen großen Tisch ein koscheres Schabbatmahl einzunehmen.
14.5.2022 Am Samstag besichtigten wir das Denkmal am Standort der ehemaligen Synagoge von Mattersburg im Burgenland Die Reiseleiter waren der Vereinsobmann von Hilfe und Hoffnung KR Michael Feyer mit seiner Frau Anette, sowie Elisabeth. Für Hannus versierte Übersetzung aller Ausführungen ins Finnische waren wir sehr dankbar. Das Denkmal für die jüdische Gemeinde Mattersburg wurde von Michael Feyer persönlich initiiert und umgesetzt. Es besteht aus einem schmalen Rahmen mit der Inschrift „Schoah“ und drei großen Tafeln aus gerostetem Eisen mit den Aufschriften:
für die Gegenwart
WIR ERINNERN
für die Vergangenheit
1938
WURDEN ALLE MATTERSBURGER JUDEN VERTRIEBEN
VIELE WURDEN ERMORDET
DER JÜDISCHE TEMPEL, DER HIER STAND, WURDE IN DER POGROMNACHT VERWÜSTET, GEPLÜNDERT UND 1940 MIT GROSSEN TEILEN DES JÜDISCHEN VIERTELS GESPRENGT
NACH ÜBER 400 JAHREN WURDE DAS JÜDISCHE LEBEN IN MATTERSBURG VON DEN NAZIBARBAREN GEWALTSAM BEENDET
für die Zukunft
ALLES, WAS DAS BÖSE BENÖTIGT, UM ZU TRIUMPHIEREN, IST DAS SCHWEIGEN DER MEHRHEIT
Anschließend besuchten wir einen jüdischen Friedhof, der über 400 Jahre lang genutzt worden war. In den 1990er Jahren wurden dort Grabsteine mit dem Davidstern-Symbol als Denkmäler errichtet, um zu verhindern, dass das Gelände als Spielplatz zweckentfremdet wird.
Zum Abschluss unseres Aufenthaltes in Mattersburg gingen wir in einem nahe gelegenen Terrassenrestaurant Eis essen.
Am Abend waren wir bei der Familie Ylitalo im 18. Wiener Gemeindebezirk eingeladen, wo wir im Rahmen eines netten Beisammenseins einschließlich Musik und Gesang den Abend verbrachten.
15.5.2022 Früh am Morgen brachen wir auf, um das alljährlich stattfindende Befreiungsfest in der KZ Gedenkstätte Mauthausen mitzuerleben.
Die Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers liegen in landschaftlich reizvoller Lage auf einem Hügel. Vor 77 Jahren befreiten alliierte Soldaten die Gefangenen des KZs Mauthausen. Die Feier bestand aus einem großen internationalen Fahnenzug mit Begrüßungsansprachen. Es gab eine große Anzahl von Nationalitäten und Organi-sationen. Die Polen waren in großer Zahl angereist. Dies ist verständlich, da Polen eines der am stärksten vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Länder war. Es wurde dann von den Deutschen und den Russen geteilt, und es war nicht einfach, mit beiden zusammen zu sein. Die Italiener sangen das bekannte Partisanenlied „Bella Ciao“.
18.5.2022 Abfahrt zum Flughafen. Die Zimmerschlüssel wurden zurück gegeben und wir gingen mit unseren Koffern die Straße hinunter. Hannu hatte zwei Taxis für uns bestellt.
Jarmo Majamaa
(historische Details von Elisabeth Baumegger ergänzt)