Am Samstag, 3.Oktober, starteten Tamara und ich bei traumhaft, fast sommerlichem Wetter zu unserer Fahrt nach Oradea und Arad. Der Bus war bis obenhin voll beladen mit Schulsachen für die Schule der Romakinder, die wir erstmalig in Oradea besuchen wollten und mit Rollatoren, Windeln und gespendeten Materialien für das jüdische Altersheim in Arad. Zügig ging die Fahrt durch Ungarn, doch kurz vor der rumänischen Grenze ließ sich der 5.Gang des Busses nicht mehr betätigen und wir mussten die ganze Strecke nur mehr mit dem 4.Gang zurücklegen. Wir hatten ein ziemlich mulmiges Gefühl, da wir wußten, dass im August schon einmal das Problem mit dem Gangwechsel aufgetaucht ist und Anne und Hannu gar nur mit dem 3.Gang durch Rumänien gondeln mussten.
In Oradea wurden wir per Telefon von Nicu Gal , dem Organisator der Romavorschule und der Schule für Romakinder in Tinca an eine Tankstelle bestellt, wo wir uns mit einer seiner Mitarbeiterinnen, Lydia, trafen, die uns zu der außerhalb von Oradea liegenden Romasiedlung lotste.
Dort stürmten die Kinder auf uns zu und begrüßten uns herzlich. Wir verteilten Süßigkeiten um sie ein bisschen zu beschäftigen und um in Ruhe unsere mitgebrachten Sachen aus dem Bus auspacken zu können. Wir besichtigten das Haus, das einen Versammlungsraum , der als Kirche genutzt wird, besitzt und die Räumlichkeiten der Vorschule. Alles war hell, sauber, aufgeräumt und freundlich. Ein schöner Platz um zu spielen und zu lernen. Außerhalb der Anlage konnte man aber das Elend und die Armut dieser Volksgruppe hautnah miterleben. Die Wohnhäuser rund um die Schule sind baufällig, es gibt keine Müllabfuhr, der Müll wird einfach auf der gegenüberliegenden Wiese entsorgt und die Kinder waren allesamt sehr armselig gekleidet.
Lydia erklärte uns, dass die Chancen der Romakinder auch nach dem Schulbesuch nicht sehr groß sind. Die meisten werden dann als Erntehelfer bei den rumänischen Bauern arbeiten oder einen niederen Job in einer Fabrik ausüben. Hier wäre also auch vom rumänischen Staat für die Anerkennung und Gleichberichtung der Romaminderheit noch viel zu tun!
Danach ging es weiter zu einem 2.Schulprojekt der Organisation von Nicu Gal, nach Tinca. 3 junge Burschen, Mitarbeiter von Nicu, lotsten uns dort hin. Die Burschen in ihrem Auto vor uns wähnten sich anscheinend auf einer Ralley und wir versuchten mit wenig PS-Kraft und nur 4 Gängen an ihnen dran zu bleiben – ein Abenteuer! Plötzlich bogen sie von der asphaltierten Straße ab und wir fuhren über eine unbefestigte, mit tiefen Schlaglöchern übersäte Straße in die Romasiedlung Tinca ein. Auch hier wieder armselige Häuser, dazwischen aber auch Rohbauten für neue Häuser, denen man aber den langsamen Bauvorgang ansehen konnte und die während des Baus schon wieder desolat wurden.
Doch dann öffnete sich ein Tor und wir fuhren ein in ein kleines Paradies. Ein Gebäudekomplex mit einem Kindergarten und einem Schulgebäude, dazwischen ein grüner Rasen, der als Sport-und Spielplatz genutzt werden kann. Schule als auch Kindergarten sind auch hier akribisch sauber und einladend und gemütlich. In der Schule steht sogar ein Computerraum mit Internet zur Verfügung, mit Laptops und Rechnern. Besonders aber gefiel mir in diesem Raum ein sehr originelles Waschbecken. Um nicht mit schmutzigen Fingern an die Tastaturen zu gehen, hat man ein Polyethylenrohr zu ungefähr einem Viertel der Länge nach aufgeschnitten, innerhalb des Rohres ein kleines Wasserrohr gelegt, dies an einen Wasseranschluß und –abfluß angeschlossen und schon können sich 5-6 Kinder nebeneinander die Hände säubern. Not macht erfinderisch!
Nach der Besichtigung übergaben wir die restlichen Schulsachen, Bekleidung und Naschereien für die Kinder an den anwesenden Hausmeister, versorgten die uns neugierig beobachtenden Kinder noch mit Süßigkeiten und weiter ging die Fahrt nach Arad.
Für den Besuch im Altersheim war es aber schon zu spät, dieser stand für den Sonntag auf dem Programm. Auch der Bus stand die Fahrt bis Arad gut durch und so konnten Tamara und ich einen gemütlichen Abend mit einem Besuch in einer Pizzeria verbringen.
Am nächsten Tag besichtigten wir Arad und ich war begeistert von der Substanz der Bauten. Sehr schöne Jugenstil-und Bauhaushäuser, die zwar ihrer Renovierung harren, aber wunderschön sind! Viele Straßencafes beleben das Stadtzentrum und die Sonne und das herrliche Herbstwetter versprachen einen schönen Ausklang unserer Fahrt.
Am späten Vormittag besuchten wir dann das jüdische Altersheim um unsere letzten Hilfsgüter an den Mann sprich Frau zu bringen. Rollatoren, Windeln, warme Socken, verschiedene dringend benötigte medizinische Hilfsmittel für die bettlägrigen alten Menschen und auch ein paar Süßigkeiten für das, aus lauter Frauen bestehende, Team. Anca, die Leiterin,empfing uns herzlich und kredenzte uns hausgemachten Strudel und Obst.
18 Personen werden in diesem Altersheim betreut, jüdischen und christlichen Glaubens, nur 5 von ihnen können das Bett verlassen und sich alleine fortbewegen. Umso schöner war es für mich zu hören, dass die im Hof aufgebaute Laubhütte (Laubhüttenfest) auch für die bettlägrigen Personen erreichbar war, da man sie direkt mit dem Lift aus dem 1.Stock in den Hof bringen konnte.
Im Aufenthaltsraum im 1.Stock zeigte mir dann Anca die Dankes-und Gedenktafel, die man für Eeva und Berti angebracht hat, die beide sehr viel für das Altersheim in Arad und überhaupt für die jüdischen Gemeinden in Rumänien, getan haben. Ich bin sehr stolz hier als Familienmitglied auch dazugehören zu dürfen.
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen vielen Freundinnen und Freunden bedanken, die immerwieder Sachspenden für den Verein Hilfe und Hoffnung parat haben und die Menschen in Rumänien nicht vergessen.
Gestärkt ging es nach der Besichtung des Altersheimes weiter in die Synagoge um Herrn ionel Schlesinger, dem Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Arad noch Guten Tag zu sagen. Dort trafen wir auch Rabbi Ehrenfeld, der gerade aus Israel da war und einen Geburtstag zelebrierte. Auch diese beiden Männer hießen uns herzlich willkommen und man konnte aus ihren Gesprächen die große Wertschätzung für die Arbeit des Vereins Hilfe und Hoffnung heraushören. Ich wußte, dass hier Großartiges vom Verein geleistet wird, aber jetzt konnte ich mich erstmalig persönlich von dieser Einsatzbereitschaft überzeugen und auch die große Dankbarkeit der Menschen vorort spüren.
Herr Schlesinger erzählte mir dann noch einiges über den Bau der Synagoge und über den, im 18./19.Jhd., dort praktizierenden, sehr liberalen Rabbi Aaron Chorin.
https://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Chorin
Dieser erlaubte z.B. den Einsatz einer Orgel am Schabbat, da er meinte, das das Zusammenkommen in der Synagoge auch mit Freude und Gesang zu tun haben muß . Das fand ich extrem sympathisch und ich habe mich in dieser kleinen Gemeinschaft gleich sehr wohl gefühlt.
Doch die Zeit drängte, wir mußten zurück und das mit nur 4 Gängen und einer Höchstgeschwindigkeit von 100km/h und einer durchgehenden Autobahn von Arad nach Wien. Werden wir es schaffen? Wir hatten ein paar spannende Momente auf der Autobahn und des Öfteren rochen wir verbrannten Gummi, aber das Glück war uns hold und nach 6stündiger Autofahrt landeten wir gesund und glücklich wieder zuhause.
Es war ein spannendes, interessantes Wochenende für mich. Ich werde weiterhin versuchen bei „Hilfe und Hoffnung“ mitzuarbeiten um einen kleinen Teil zu Verbesserung der Lage in den Schulen, in den Kindergärten der Romakinder, in den Altersheimen und den jüdischen Gemeinden beizutragen. Es wartet hier noch viel Arbeit!
Uschi Schipfer