Lange vor dem Chanukka-Fest im Dezember bereiteten wir mit einer Freundin etwa hundert Chanukka-Geschenk-Pakete vor, die wir auf unsere Reise in die Ukraine Ende Oktober mitnehmen wollten. Die Pakete bestanden aus handgestrickten, finnischen Wollsocken und einer großen Tafel Schokolade.
Am 25. Oktober brachen wir von Wien aus zur ersten Etappe nach Oradea auf, wo wir bei einem Freund unterkamen. In Budapest fügten wir weitere 700 Paar Bambus-Socken unserer Ladung hinzu. Die Ladekapazität des Opel Vivaro war nahezu ausgeschöpft, denn das größte und schwerste Stück war ein Krankenhausbett mit Matratzen und Zubehör, das uns die Frau unseres verstorbenen Freundes geschenkt hatte. Er war selbst ein fleißiger Entwicklungshelfer, der Reisen nach Osteuropa unternahm. Kinder lagen ihm besonders am Herzen, und er versorgte uns mit Süßigkeiten aus örtlichen Schokoladefabriken sowie mit einer Vielzahl anderer Hilfsgüter wie Windeln und Kleidung für Erwachsene. Jetzt, nach dem Tod ihres Mannes, war es der Wunsch seiner Frau, dass das Krankenhausbett, das ihr Mann benutzt hatte, in die Ukraine gebracht werden sollte. Dieser Wunsch wurde erfüllt, und das Bett steht nun den Patienten eines ukrainischen Militärkrankenhauses zur Verfügung.
Nach der Übernachtung in Oradea setzten wir beide unsere Reise in Richtung ukrainische Grenze fort. Da wir dieses Mal die Absicht hatten, die Grenze zu überqueren, hatten wir unsere Ladeliste sorgfältig in vier Sprachen vorbereitet: in deutsch, englisch, ukrainisch und rumänisch – nur für den Fall des Falles. Am Abend erreichten wir die Grenze und übernachteten noch auf der rumänischen Seite. Wir wählten einen kleineren Grenzübergang, wo die Warteschlange kürzer ist. In der Tat waren wir in aller Herrgottsfrühe die ersten Kunden am Zollposten. Trotzdem dauerte es eine Stunde, bis wir durch den Zoll waren und unsere Reise in Richtung Czernowitz fortsetzen konnten.
Unmittelbar nach dem Grenzübergang wurde die Umgebung bescheidener und die Straßen schmaler. Nach weniger als einer Stunde Fahrt kamen wir in der Stadt Czernowitz an.
Wir hatten zwei Ziele in Czernowitz: die jüdische Gemeinde und die Organisation “Neue Familie”. Zunächst luden wir die gespendeten Güter im Lager der “Neuen Familie”, das sich in einem roten Backsteingebäude befindet, ab. Zu dieser Zeit war das Lager fast leer, es wurden allerdings neue Hilfsgüter erwartet. Alle Materialien, die als Hilfsgüter ins Land kommen, müssen innerhalb von drei Monaten an die Empfänger übergeben werden, ansonsten gelten sie als Handelsware und sind steuerpflichtig. Das Auto wurde mit der üblichen Schnelligkeit entladen, und das Krankenhausbett wurde mit einem Krankenwagen direkt zum Militärkrankenhaus transportiert. Wir stellten fest, dass die Logistik vor Ort perfekt funktionierte.
Unser zweites Ziel in Czernowitz war eine jüdische Gemeinde. Wir wurden vom Rabbiner der Gemeinde herzlich empfangen. Dieser Mann ist in Czernowitz und darüber hinaus sehr bekannt. Er setzt sich unermüdlich für die Entwicklung der jüdischen Gemeinde ein, fördert die Wiederbelebung der jüdischen Kultur und Tradition und bringt Gottes Licht in diese Welt – wir konnten die Liebe des Rabbiners zu seinen Gemeindemitgliedern auf einer persönlichen Ebene spüren. Wir wurden durch die Einrichtungen der Gemeinde geführt, die gut genutzt werden.
Es gibt separate Bereiche für Kinder und Jugendliche mit farbenfrohen Dekorationen und vielen Aktivitätsangeboten.
Wir übergaben der Gemeinde liebevoll gefertigte Wollsocken, Süßigkeiten, 50 kg Kaffee sowie ein Geldgeschenk und vermittelten auch, dass hinter diesen Liebesgaben Christen stehen, die das jüdische Volk von ganzem Herzen lieben. Die Geschenke wurden mit Dankbarkeit angenommen. Der Rabbiner bedankt sich bei allen Spendern und möchte sie herzlich grüßen.
Jeden Tag kommen circa hundert Menschen in die Gemeindekantine, um eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Auch wir genossen ein köstliches Mittagessen in der Kantine: ukrainische Borschtschsuppe mit Schnitzel und Gemüse.
Mittags war die Kantine noch recht ruhig, abgesehen von ein paar Familien. Da es allerdings Freitag war, kamen am Nachmittag immer mehr Menschen, die den Schabbat-Beginn feiern wollten.
Erfreut über alles, was wir gesehen und erlebt hatten, machten wir uns auf die lange Rückreise. Obwohl das Auto nicht beladen war, dauerte es am Kontrollpunkt wieder eine Stunde, bis wir die Grenze nach Rumänien passieren konnten. Wir wussten bereits, dass der Grenzübertritt in mehreren Etappen erfolgen würde. Die Warteschlange war lang und an drei Stellen mussten wir unsere Pässe und die Fahrzeugpapiere vorzeigen. Darüber hinaus wurde der Kofferraum des Autos kontrolliert, um sicherzustellen, dass wir niemanden nach Rumänien hinein schmuggelten.
In Rumänien gab es mehr Verkehr, aber auch zahlreiche Baustellen verlangsamten die Fahrt. Erst gegen Mitternacht kamen wir in Cluj Napoca an, wo wir übernachteten.
Ein unvergesslicher Abend in Oradea
Als wir uns am nächsten Tag Oradea näherten, fühlten wir uns fast wie zu Hause, denn im Radio wurde ein ungarisches Programm gespielt. Unser Freund war über unsere baldige Ankunft informiert und winkte uns schon von seinem Balkon aus zu. Der Abend verlief angenehm mit einem guten Essen und einem anschließenden Rundgang durch das nächtliche Oradea. Ein schön renoviertes Gebäude nach dem anderen erstrahlte in der Abenddämmerung. Wir waren beeindruckt von der Schönheit der Stadt und der wunderbaren Gastfreundschaft unseres Freundes.
Die Reise ließ uns mit einem guten und dankbaren Gefühl zurück. Gottes Schutz war gegenwärtig und unsere Schritte waren einer nach dem anderen vorbereitet.
Vielen Dank, Freunde, dass wir gemeinsam dem jüdischen Volk sowie auch anderen Bedürftigen helfen können.
Anne und Hannu Ylitalo
(November 2023)